Der BREXIT wirkt als Warnsignal und als Weckruf

In diesen Tagen bangen Millionen Briten, ob ihnen Premierminister Johnson zum Covid-Blues nun auch noch ein No-Deal-Chaos unter den Weihnachtsbaum legt. Zwei Wochen vor dem Ablauf der Übergangsfrist weiß die britische Bevölkerung immer noch nicht, was im nächsten Jahr auf sie zukommt. Am 17. Dezember 2020 hielt ich in der Sitzung des Landtags zu diesem aktuellen Thema folgende Rede.

Die EU und Großbritannien einigten sich ja bei den Austrittsverhandlungen darauf, dass sie bis zum Ende der Übergangsphase am 31. Dezember 2020 ein Freihandelsabkommen vereinbaren wollen.

Trotz großer Bemühungen der EU-Unterhändler  ist es bis heute nicht gelungen, die künftigen Beziehungen der bisherigen Partner auf die Grundlage eines Handelsabkommens zu stellen, ohne dass die Verbraucherinnen und Verbraucher, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, UnternehmerInnen und Studierende – um nur einige zu nennen – auf der Insel wie auf dem Kontinent erhebliche Einschränkungen zu spüren bekommen werden. Der größte Streitpunkt: ein vom britischen Parlament beschlossenes Binnenmarktgesetz, das Teile des Austrittsvertrags aushebeln würde. 

Diese Rosinenpickerei muss in Europa ein Ende haben!

Wenn tatsächlich kein Freihandelsabkommen mehr beschlossen wird und es zum harten Brexit kommt, hätte dies für die Briten weitreichende Folgen. Denn die Errungenschaften des Europäischen Binnenmarkts, dem das Land 40 Jahre lang angehörte, wären über Nacht verloren. Seit 1968 gibt es innerhalb der Europäischen Union keine Zölle mehr. Auf Einfuhren aus Drittstaaten werden gemeinsame Zollsätze angewendet. 25 Jahre später, 1993, wurde das Projekt eines großen und einheitlichen Marktes im Innern der Union vollendet. 

Bezogen auf die Wirtschaftsleistung (BIP) von über 12 Billionen Euro ist der europäische Binnenmarkt der größte einheitliche Markt der Welt. Für Unternehmen bedeutet das Kostensenkung und eine Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft. Für die Verbraucherinnen und Verbraucher bringt das nicht nur niedrigere Preise, sondern auch sichere Produkte, die den gemeinsam weiterentwickelten Standards entsprechen.

Das vielleicht wichtigste Element ist die Freiheit des Personenverkehrs: 

Unionsbürgerinnen und -bürger können überall in der EU reisen, leben, lernen und arbeiten. Jeder kann sich um eine Stelle in einem anderen EU-Land bewerben und einen Arbeitsvertrag unterschreiben. Niemand darf dabei aufgrund seiner Staatsbürgerschaft benachteiligt werden. Und im Ausland erworbene Rechte aus der Rentenversicherung gehen nicht verloren. Unionsbürgerinnen und -bürger können in ihrem erlernten Beruf arbeiten: Berufsabschlüsse werden gegenseitig anerkannt. Und schließlich ist auch das Reisen und Einkaufen leichter geworden. Waren für den privaten Bedarf können wir überall in der EU kaufen, ohne an der Grenze kontrolliert zu werden und weitere Abgaben zahlen zu müssen. Diese Errungenschaften wollen wir nicht nur weiterentwickeln, sondern wir werden sie auch verteidigen. Denn der EU-Binnenmarkt ist noch nicht vollendet. Vor uns liegt noch einige Arbeit:

Bei der Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich, beim Krisenmanagement oder im Energiesektor bestehen ebenso strukturelle Defizite wie beim grenzüberschreitenden Zugang zu Kapital und bei der Mobilität von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern . Auch bei der Besteuerung von Unternehmen muss die EU endlich für mehr Gerechtigkeit innerhalb des Binnenmarktes sorgen. Etwa durch eine europäische Bemessungsgrundlage für die Körperschaftssteuer, eine am Umsatz orientierte Digitalsteuer und eine europäische Finanztransaktionssteuer. Immens sind auch die Herausforderungen, die sich aus der Digitalisierung und der Entwicklung künstlicher Intelligenz ergeben. Hier kommt es oft noch  zu nationaler Gesetzgebung, die im Anschluss dann mühsam europäisiert werden muss, statt neuen Regelungsbedarf rechtzeitig zu erkennen und gemeinsam anzugehen. 

Wir können unseren Wohlstand und unsere Sozialsysteme auf Dauer nur erhalten, wenn wir bei technischen Innovationen weiterhin gemeinsam  an der Weltspitze mitspielen. Die Weiterentwicklung des Europäischen Integrationsprozesses ist die große Chance unseres Kontinents, in der Welt  zu bestehen. Und wir können unsere Standards und Werte von Demokratie, nachhaltiger und sozialer Marktwirtschaft zum Maßstab für andere Regionen zu machen.

Wir Grüne werden  uns dieser Herausforderung stellen!

Dass die britische Regierung unter  Johnson sich von einem nationalen Alleingang ohne EU eine bessere Zukunft verspricht, wird sich schon bald als Trugschluss erweisen. Großbritanien wird bei einem harten BREXIT die Mitgliedschaft im EU-Binnenmarkt und  in der Zollunion verlieren. Für die Briten bringt das in zwei Wochen unmittelbar harte Einschnitte. So hat Boris Johnson Medienberichten zu Folge den Briten bereits angekündigt, dass sie bis April 2021 kein frisches Gemüse kaufen können, weil die Importe aus der EU fehlen. Rund 30 Prozent der im Vereinigten Königreich konsumierten Nahrungsmittel oder Getränke stammen aus der EU.

Die größte britische Supermarktkette warnt, dass Verbraucherinnen und Verbraucher wegen der Erhebung von Zöllen mit einem durchschnittlichen Preisanstieg von bis zu fünf Prozent rechnen müssten. Doch auch die britische Exportwirtschaft hätte unter einem No-Deal und dem damit verbundenen Verlust des Marktzugangs zum Europäischen Binnenmarkt stark zu leiden. Denn knapp die Hälfte der britischen Exporte gingen 2017 in die Europäische Union.

Für Wirtschaftssektoren mit Arbeitskräftemangel ist der Brexit auch keine gute Nachricht: 

Weil mit dem 1. Januar die Freizügigkeit endet, kommen kaum noch Arbeitskräfte aus den EU-Mitgliedstaaten nach Großbritannien. Andersherum müssen Briten, die in der EU leben , sich eine Arbeits- und eine  Aufenthaltsbescheinigung beschaffen.

Den gravierenden Folgen des BREXIT für Groß-Britannien stehen im Umkehrschluss auf Seiten der EU-Länder und damit auch hier bei uns in Baden-Württemberg erhebliche Einschnitte  und Nachteile gegenüber. Seit dem Brexit-Referendum im Juni 2016 sind bereits deutliche Bremsspuren in den Handelsbeziehungen mit dem Vereinigten Königreich zu beobachten. Baden-Württemberg ist dabei bundesweit besonders betroffen. Die baden-württembergischen Exporte nach Großbritannien sind in den letzten 3  Jahren um fast ein Drittel eingebrochen.

Politik braucht Verlässlichkeit, Besonnenheit und die Fähigkeit, Konsense herbeizuführen. Premier Johnson ist hier leider eine narzistische Fehlbesetzung. Aus purer Egozentrik wird die jahrzehntelange Mitgliedschaft Großbritanniens in der EU über Bord geworfen, ohne eine klare alternative Perspektive für sein Land aufzuzeigen. 

Daran sieht man, wohin uns Populismus, Nationalismus und solch verantwortungslose Politik führen! Sie führen ins Chaos!

Der konservative Premierminister David Cameron hatte vor sieben Jahren aus politischem Kalkül das Versprechen eines Volksentscheids zum EU-Ausstieg gemacht,  weil er den Aufstieg der Ukip-Partei als Gefahr für seinen eigenen Wahlsieg sah. Cameron flirtete mit den Rechtsaußen des Königreichs und saß damit in der eigenen Falle: Die Büchse der Pandora war geöffnet! Doch anstatt zu den Konsequenzen zu stehen, haben sich Cameron und Konsorten still und heimlich davongeschlichen. Das ist ein Paradebeispiel für verantwortungslose Politik und zeigt, wohin Pakte mit dem Teufel und den Rechtspopulisten führen. Ich hoffe, dass der Schaden dieses tragischen Austritts für alle Betroffenen nicht zu groß sein wird. 

Wir werden den Briten immer die Hand auf Augenhöhe reichen, wenn sie wieder in die  EU eintreten möchten.

Der Zusammenhalt Europas ist die zwingende Voraussetzung für Wohlstand und Sicherheit unseres Kontinents. Neben dem Brexit zeigen die Finanz- und Wirtschaftskrise, sowie die Flucht- und Migrationsdynamiken,  wie brüchig der Zusammenhalt in Europa ist – insbesondere dann, wenn es darum geht, Risiken und Belastungen gemeinschaftlich zu tragen.
Ich freue mich daher sehr, dass die Zustimmungsraten zur EU  seit dem BREXIT trotz der Herausforderungen gestiegen sind! 

Es zeigt , dass ein deutsche Mehrheit an der europäischen Integration aktiv mitgestalten will.

Der BREXIT wirkt offensichtlich als Warnsignal und als Weckruf. 

Viele Menschen haben die kleinen konkreten Errungenschaften der EU schätzen gelernt, wie zum Beispiel den Vorteil eines europäischen Verbraucherschutzes mit seiner zweijährigen Garantiezeit. Und die Briten können ab nächstem Jahr nicht mehr sicher sein, ob der schottische Lachs noch aus ihrem Königreich oder aus China kommt. Denn die geschützte Ursprungsbezeichnung ist eine europäische Errungenschaft, die wir nicht mehr verlieren wollen. Wir werden die englischen Erasmus-Studierenden vermissen in unseren Unis und viele deutsche  Studierende werden die englischen Universitäten nur noch aus den Büchern kennenlernen. Wir könnten diese Liste von Vorteilen, der EU anzugehören, endlos fortsetzen.  

Für unsere Fraktion ist klar: Für eine gute Zukunft brauchen wir die Europäische Union. 

Wir wollen ein vereintes Europa, das auch in schwierigen Zeiten den Weg der europäischen Integration weitergeht. 

Denn nur zusammen können wir die Probleme dieser Epoche lösen! 

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