Liebe Mitmenschen,
Es gibt Momente, Erlebnisse und daraus resultierende Aufgaben im Leben, die sucht man sich nicht unbedingt freiwillig aus. Dies trifft für ganz persönliche Situation wie beispielsweise eine plötzliche Erkrankung genauso zu wie für unvorhersehbare gesellschaftliche Entwicklungen. Eine solche Situation im Jahr 2022 war ganz bestimmt der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Dieser hat in der Ukraine aber auch weit darüber hinaus einschneidende Veränderungen verursacht. In Baden-Württemberg wird dies insbesondere sichtbar an rund 142.000 Menschen, die vor diesem Krieg zu uns geflohen sind. Aber auch viele offene Fragen bei der Wärme- und Stromversorgung als Folge dieses Krieges sind bei uns deutlich spürbar.
Eine sehr menschliche Reaktion auf solche Momente ist es, dies ganz weit weg zu schieben, eine Entscheidung, wie hiermit umzugehen ist, zu vertagen oder die Verantwortung für sie an jemand anderes zu übertragen. In diesen Situationen erinnere ich mich gerne an eine Geschichte des buddhistischen Mönchs Ajahn Brahm in seinem gleichnamigen Buch „Who ordered this Truckload of Dung?“[1].
Kurz zusammengefasst beschreibt die Geschichte folgende Situation: Man kommt nach Hause, und vor der eigenen Haustüre liegt eine riesige Ladung stinkender und dreckiger Mist, den man selber nicht bestellt hat, von dem aber auch kein Nachbar weiß, wer ihn da abgeladen hat. Wenn man in einer solchen Situation die eben beschriebene Strategie von Verdrängen und Vertagen verfolgt, würde es aufgrund des Gestanks und des Drecks nicht nur zu Hause schnell ungemütlich werden. Sondern man würde diesen „Mistberg“ vermutlich zumindest im Geruch mit sich rumtragen.
Deswegen ist mir die zweite vom Herrn Brahm vorgeschlagene Strategie viel sympathischer: Nämlich sich an die Arbeit zu machen und den Mist von der Haustür wegzubringen, auch wenn man diese Situation nicht selber verursacht hat und es Mühen kosten wird. Dorthin, wo er etwas Fruchtbares bewirken kann, zum Beispiel in den eigenen Garten. Dort kann er als Dünger eine gute Ernte bringen, die gegebenenfalls sogar mit Nachbarn und Freund:innen geteilt werden kann.
Diese Geschichte verdeutlicht für mich zwei Dinge: Erstens, es ist möglich, aus widrigen Situationen und Schwierigkeiten positives zu erwirken. Und zweitens, es gibt Momente im Leben, bei denen die Ursache gegebenenfalls nicht bei einem selber liegt, es für eine Lösung und Verbesserung dennoch sinnvoll ist, Verantwortung zu übernehmen und zu handeln.
Ich bin froh, dass wir es in Deutschland und Baden-Württemberg bisher geschafft haben, aus den Krisen, welche sich aus dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ergeben, Schritt für Schritt Verantwortung zu übernehmen. Folgende Beispiele verdeutlichen dies:
- Viele ehrenamtliche und hauptamtlichen Helfer:innen zeigen eine hohe Solidarität: Sie unterstützen Geflüchtete aus der Ukraine und aus anderen Ländern. Damit ermöglichen sie ihnen, bei uns anzukommen.
- Die Gas- und damit Energiekrise ist ein klarer Weckruf. Damit aber auch ein Impuls! Wir müssen schnellstmöglich unserer Energieproduktion und unseren Energiekonsum effizienter und erneuerbar gestalten – mit mehr Wind und Solarenergie. Aus Verantwortung wurden sowohl in Brüssel, in Berlin, in Baden-Württemberg und auch von vielen Bürger:innen Schritte für mehr erneuerbare Energien und für einen geringeren Energieverbrauch in die Hand genommen. Auch wenn wir an einigen Stellen zunächst noch in saure Äpfel beißen müssen, um unabhängiger von russischem Gas zu werden.
Ich möchte allen Ehrenamtlichen und Engagierten in der Flüchtlingsarbeit, in Organisationen, den Wohlfahrtsverbänden, Vereinen und Genossenschaften für mehr erneuerbare Energien und allen Bürger:innen herzlich dafür danken. Sie helfen mit, aus den häufig nicht selbst gewählten Widrigkeiten heraus eine erneuerbare und nachhaltigere Ernte zu schaffen. Ich bin zuversichtlich, auch wenn es ein Stück Arbeit bleiben wird, wie ich selber vom Misten meiner Pferde zu Hause weiß.
Nur wenn wir selber Verantwortung für alle guten und schlechten Situationen in unserer Gesellschaft tragen, wie es beispielsweise auch beim Notlazarett im Burghof bei der Glatteissituation zuletzt in Lörrach geschehen ist, kann uns dies gelingen.
Ich wünsche Ihnen allen ein besinnliches Weihnachtsfest und für das kommende Jahr viele Momente, in denen Sie Verantwortung für sich selber und für andere übernehmen. Damit aus schwierigen Situationen fruchtbarer Boden für eine nachhaltige Ernte entstehe!
Ihr Josha Frey, MdL
[1] Vgl. Brahm, Ajahn. Who Ordered This Truckload of Dung?. Public Library Interlink, 2008.
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